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03/2022

Vergangenheit, Persönlichkeit und Zukunft.

Unsere Ver­gan­gen­heit bes­timmt jede einzelne unser­er Entschei­dun­gen, unser Ver­hal­ten und formt unsere Per­sön­lichkeit – sowohl bewusst als auch unbe­wusst. Prob­leme, die man im Erwach­se­nenal­ter hat, haben meis­tens Ihren Ursprung in der Kind­heit oder in ver­gan­genen (trau­ma­tis­chen) Erleb­nis­sen. Es ist wichtig zu ver­ste­hen, wie und warum das so ist, um zu ver­hin­dern, dass diese sich in akute oder grössere Prob­leme verwandeln.

 

Viele gehen davon aus, dass Prob­leme, Sit­u­a­tio­nen oder Missver­ständ­nisse im jew­eili­gen Moment entste­hen. Eine Aktion erzeugt eine Reak­tion. Doch ist das so einfach?

 

Unser Ver­hal­ten ist nicht in Schwarz-Weiß-Abstu­fun­gen aufgeteilt, wie man oft glaubt. Es benötigt viel Wis­sen, um es zu ver­ste­hen. Jede Art von Hand­lung hat einen Grund und ist tief ver­ankert in den erlern­ten, erlebten und erfahre­nen Erin­nerun­gen und Lebensereignissen.

Von klein auf wer­den Kinder von vie­len Din­gen bee­in­flusst. Bis zu einem bes­timmten Alter sind diese rein auf die emo­tionale Ebene begren­zt, denn ein Kleinkind hat noch nicht die Fähigkeit, Umstände, Sit­u­a­tio­nen, Ansicht­en und andere Sit­u­a­tio­nen zu sehen und zu ver­ste­hen. Das Einzige was es tut ist: Fühlen. Glück, Freude, Sicher­heit, Wohlbefind­en und weit­ere pos­i­tive Emo­tio­nen – oder eben das Gegen­teil:  Angst, Trauer, Unsicher­heit oder Unglück. Diese Gefüh­le bilden die Basis für unsere Erin­nerun­gen und Erfahrun­gen. So ler­nen wir, ver­bun­den mit unseren Emo­tio­nen, Schlüsse zu ziehen und Entschei­dun­gen zu tre­f­fen. Wir entwick­eln so Ver­hal­tensweisen, Bewäl­ti­gungsmech­a­nis­men (auch Cop­ing Strate­gien genan­nt) und Persönlichkeitszüge.

Was hier wichtig ist, sind die Cop­ing Strate­gien. Man geht je nach Sit­u­a­tion und Per­son unter­schiedlich mit bes­timmten Ereignis­sen um. Doch die Fol­gen, bzw. die Resul­tate dieses Umgangs sind wichtig, denn diese bes­tim­men auch das zukün­ftige Han­deln in Bezug auf Ereignisse oder andere Personen.

 

Doch was hat das mit den Prob­le­men oder Missver­ständ­nis­sen im Erwach­se­nenal­ter zu tun?

Alles was wir sagen, wie wir es sagen oder aus­drück­en und wann wir es sagen, hat einen Grund, einen Ursprung und eine Absicht inne. Wie stellen wir nun sich­er, dass es nicht zu Kon­flik­ten kommt?

Es gibt nie eine hun­dert­prozentige Sicher­heit, aber indem man selb­stre­flek­tiert bleibt, kann man einen grossen Teil verhindern.

 

Zum Beispiel:

Wenn Per­son A etwas mit Per­son B erlebt, wird diese von ihren eige­nen Erfahrun­gen bee­in­flusst, eine bes­timmte Sit­u­a­tion anders einzuschätzen. Dem­nach kann die Erzäh­lung von Per­son A zu Per­son B vari­ieren. Eben­falls wird die Erzäh­lung vari­ieren, da Per­son A nicht das exakt gle­iche Vok­ab­u­lar wie Per­son B ver­wen­det. Dieser Umstand wird dann bei ein­er anderen Per­son C, der die Sit­u­a­tion geschildert wird, einen anderen Ein­druck der Sit­u­a­tion hin­ter­lassen, welch­er sich von den tat­säch­lichen Geschehnis­sen unterscheidet.

Was hier wichtig zu ver­ste­hen ist, ist das jede einzelne Per­son nicht nur eine sub­jek­tive Wahrnehmung und Real­ität hat, son­dern (lei­der) auch nicht immer genü­gend Ein­sicht in die Umstände des Gegenübers hat. Je mehr diese ursprüngliche Infor­ma­tion weit­ergegeben wird, desto häu­figer kön­nen sub­jek­tive Real­itäten und Erleb­nisse zunehmend inter­pre­ta­tiv mit einfliessen.

 

Man kann nicht alles über eine andere Per­son wis­sen oder ken­nen. Was diese durchgemacht hat, wie sie erzo­gen wurde, in welch­er Sprache oder welch­er Kul­tur sie aufgewach­sen ist. Je nach­dem, was eine Per­son wie erlebt hat (auch im emo­tionalen Sinn) und wie sie mit diesen Umstän­den zurechtkam, ste­ht als Infor­ma­tion längst nicht immer für Externe zur Ver­fü­gung. Es liegt an der jew­eili­gen Per­son selb­st, zu entschei­den, ob sie diese Infor­ma­tio­nen teilen möchte.

Dies ist eine Sache, die wir nicht bee­in­flussen kön­nen. Doch das Ver­hal­ten ein­er Per­son, das ent­fer­nt von den Nor­men[1] liegt ist immer ein Indika­tor dafür, dass die Per­son ein trau­ma­tis­ches Erleb­nis durchgemacht hat.

 

Missver­ständ­nisse kön­nen immer entste­hen. Das Missver­ständ­nis, das zu einem Prob­lem wird, kann ein Weg zur Lösung sein.

Wie lösen wir Prob­leme und wie schaf­fen wir die Bere­itschaft, diese zu klären?

 

Es wichtig, alles in Rela­tion zu sehen und dabei selb­stre­flek­tiert zu bleiben und zu ver­ste­hen, dass wenn man etwas sagt und hört, viel mehr dahin­ter­steckt als nur die Worte selb­st. Man sollte immer daran denken, dass hin­ter jedem Han­deln und jed­er Aus­sagen immer Gründe steck­en, die viel tiefer gehen, als man zunächst sieht oder glaubt zu kennen.

Prob­leme zu lösen, bedeutet nicht nur einen Aufwand für das Gegenüber, son­dern auch für sich selb­st. Das heisst: die Bere­itschaft muss natür­lich da sein und man muss ein Ziel damit ver­fol­gen. Welch­es Ziel das ist, bleibt natür­lich jed­er Per­son selb­st über­lassen. Vielle­icht kön­nte man all­ge­mein das Ziel haben, ein friedlich­es Zusam­men­leben zu fördern oder immer wiederkehrende Prob­lem präven­tiv zu vermeiden.

Reflek­tion bedeutet, ehrlich zu sich selb­st sein zu kön­nen und die eige­nen Erfahrun­gen in Rela­tion zu Sit­u­a­tio­nen zu set­zen. Der Aufwand dabei liegt darin, sich selb­st zuzuhören und so gut wie möglich zu iden­ti­fizieren und dif­feren­zieren, welche Emo­tio­nen zur eige­nen Per­sön­lichkeit gehören und welche nicht, und wann die Emo­tion und Moti­va­tion des Gegenübers gehört und ver­standen wer­den muss. Man muss diese nicht nachempfind­en, aber man sollte sie zumin­d­est ver­ste­hen oder akzep­tieren. Man muss nicht zwin­gend empathisch sein, son­dern den Gegenüber, dessen Erfahrun­gen und Erleb­nis­sen mit Respekt gegenüberzutreten. Hier geht es nicht darum, Recht zu bekom­men, denn jed­er hält die eigene Ansicht erst­mal für die Kor­rek­te. In Kon­flik­ten geht es darum, eine Lösung zu find­en und kon­struk­tiv nach vorne denken zu kön­nen, sodass sich bei­de Parteien ver­standen und gese­hen fühlen.

Wenn eine starke Reak­tion von dem Gegenüber kommt, drückt das häu­fig eine Form der Verzwei­flung aus und es steckt etwas dahin­ter, das man nicht sieht. Selb­st die betrof­fene Per­son ist sich dessen sel­ten bewusst. Verzwei­flung oder Angst führen oft zu Unsicher­heit. Ein Gefühl, dass viele Leute nicht ertra­gen kön­nen. Unsicher­heit­en führen zu einem Bedarf an Sicher­heit und dem Wun­sch nach Antworten. Man sucht nach Erk­lärun­gen, die sub­jek­tiv (also in Bezug auf alles was man gel­ernt hat oder erlebt hat) Sinn machen. Dies bedeutet aber nicht, dass diese der objek­tiv­en oder nor­malen[2] Real­ität entsprechen.

 

Nehmen wir ein Beispiel, das in den let­zten Jahrzehn­ten immer mehr an Ein­fluss gewin­nt: Das Internet.

Nahezu jed­er hat Zugriff auf das Inter­net. Man kann jede erden­kliche Infor­ma­tion über das Inter­net bekom­men. Diese Infor­ma­tio­nen wer­den von anderen Men­schen hochge­laden. Was bedeutet das? Dass jede Infor­ma­tion eine sub­jek­tive Sichtweise über ein The­ma ist. Das bedeutet, dass diese geprägt ist von Erfahrun­gen und Erlebnissen.

Da diese Infor­ma­tio­nen jed­er Per­son jed­erzeit zur Ver­fü­gung ste­hen, kann sich natür­lich jede Per­son die Infor­ma­tio­nen «raus­pick­en», die ihr in die Hände spie­len und den eige­nen Gesicht­spunkt unterstützen.

Rede- oder Presse­frei­heit bedeutet nicht, dass alles was gesagt wird, auch richtig ist, es bedeutet lediglich, dass jede Per­son ein Recht auf eine eigene Mei­n­ung hat und dass jed­er diese Mei­n­ung respek­tieren soll. Es heisst nicht, dass man diese Mei­n­ung zwin­gend teilen oder anderen auf­drän­gen muss.

Wichtig ist, zu ver­ste­hen, dass jede Infor­ma­tion, die mit bzw. von ein­er Per­son geteilt wird (dies ist auf allen Ebe­nen anwend­bar) nicht zwangsweise der Real­ität von Anderen entspricht.

Man sollte von klein auf ler­nen, diese Unter­schiede zu erken­nen, um Sit­u­a­tio­nen bess­er ein­schätzen zu kön­nen und dadurch ein grösseres Ver­ständ­nis für unser Gegenüber und dessen indi­vidu­elle Sit­u­a­tio­nen zu schaffen.

Es kann gar nicht oft genug betont wer­den: Man muss nicht ein­er Mei­n­ung sein, man sollte aber andere Mei­n­un­gen (und das gilt in bei­den Rich­tun­gen) stets respek­tieren können.

Die Reflek­tion des eige­nen Ver­hal­tens und das Ver­ständ­nis der eige­nen Moti­va­tio­nen und Emo­tio­nen hil­ft auch, ein grösseres Ver­ständ­nis für das Ver­hal­ten des Gegenübers möglich zu machen.

 

Nehmen Sie sich also nicht alles so zu Herzen und ver­suchen Sie immer darüber nachzu­denken, wer eine Aus­sage tätig und in welch­er Sit­u­a­tion sich diese Per­son befind­et. Hat Sie etwas zu gewin­nen? Zu ver­lieren? Unter welchen Umstän­den wurde die Aus­sage gemacht? Wie geht es der Per­son und was macht sie zur Zeit durch? Kön­nte etwa mehr dahin­ter­steck­en? Welche Infor­ma­tion kann man nicht leug­nen und kön­nte als Fakt ange­se­hen wer­den? Wann ist eine Infor­ma­tion Fakt und wann nicht?

 

Unser Ziel sollte es sein, ein grösseres Ver­ständ­nis für dieses The­ma zu schaf­fen und auch unseren Kindern dies von Anfang an beib­rin­gen, sodass sie in ein­er besseren Umge­bung aufwach­sen, einen anderen Umgang miteinan­der pfle­gen und nicht unsere Fehler wiederholen.

Kein­er ist per­fekt. Jed­er macht Fehler, das gehört zum Leben dazu und nur so entwick­elt man sich weit­er. Man sollte offen dafür sein und ler­nen mit Kon­flik­ten richtig umzugehen.

Wir müssen unseren Kindern das Ler­nen von Ver­ständ­nis und Respekt ermöglichen, nahe­brin­gen wie eine Per­son funk­tion­iert und wie man in Kon­flik­t­si­t­u­a­tio­nen richtig kom­mu­niziert. All dies ist nur möglich, wenn man sich emo­tion­al offen, reflek­tiert und tol­er­ant ver­hält. Dies sind Dinge, die man von Anfang an und präven­tiv erler­nen sollte.

Denn Präven­tion ist nicht nur wichtig und selb­st­di­en­lich. Präven­tion ist der Weg zu einem friedlicheren und glück­licheren Leben.

Set­zten auch Sie sich dafür ein! Denn Verän­derung fängt immer zu aller erst bei sich selb­st an!

 

 

[1] Nor­men bedeutet alles was von ein­er Mehrheit ange­se­hen und anerkan­nt wird als verbindlich gel­tende Regel was richtig, kor­rekt, etc. für das Zusam­men­leben der Men­schen ist.

[2]  Der Norm entsprechen­den Realität.

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