Einflussfaktoren auf das Wohl des Kindes, die Kindesentwicklung und die Anpassungsfähigkeit an die Trennungssituation.
Zum Kindeswohlprinzip bei Trennung der Eltern gibt es unterschiedliche, vielfach bestätigte sowie nicht-bestätigte Theorien. Vor allem bezüglich der Faktoren, von denen das Kindeswohl abhängig ist. Im Folgenden werden einige dieser Theorien vorgestellt. Allen Theorien gemein ist die Grundhaltung, dass die Kindesinteressen vor allen anderen beteiligten Interessen Vorrang haben. Das Kindeswohl bezeichnet sowohl den gegenwärtigen Zustand des körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefindens des Kindes, als auch den Prozess seines Hineinwachsens in die Selbstbestimmungs- und Selbstverantwortungsfähigkeit. Bei einer elterlichen Trennung geht es aber vor allem auch darum, die Bewältigungsstrategien, die Kindesentwicklung und die Anpassungsfähigkeiten des Kindes an die neue Situation zu fördern.
Eine nicht konsensfähige Theorie
Eine nicht bestätigte Theorie stammt von Emery (2016). Sie besagt, dass aus der aktuellen Studienlage abgeleitet werden könne, dass ein anhaltender Elternkonflikt mit einem noch größeren Risiko für die kindliche Entwicklung einhergehen würde, als ein Beziehungsabbruch zu einem Elternteil. Zumindest unter der Voraussetzung, dass eine positive Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil besteht. Hier wird eine kindliche Bedürfnishierarchie bei Trennung der Eltern postuliert. Die Bedürfnisse von Kindern in zwei getrennten Haushalten können demnach vergleichlich der Maslow Pyramide betrachtet werden. Beispielsweise sei der Schutz vor Konflikten ein höheres Grundsatzbedürfnis, als die Beziehung zu beiden Elternteilen. Natürlich sind alle Bedürfnisse von in getrennten Haushalten lebenden Kindern wichtig und am besten wäre es, wenn sie eine gute Beziehung zu beiden Elternteilen hätten. Dennoch behauptet Emery, dass das Leben in einer Kriegszone zwischen den Eltern mehr Schaden verursacht, als eine sehr tiefe Beziehung zu nur einem Elternteil. Emery führt allerdings in seinen Ergebnissen Forschungsberichte auf, die er nicht benennt. Er sagt auch nichts über die Art, Dauer und Intensität der Konflikte aus. Er spricht undifferenziert von „conflicts“ und „warzone“.
Eine konsensfähige Theorie
In der Humanwissenschaft hingegen konsensfähig ist, dass es verschiedene kindesbezogene Einflussfaktoren der Eltern-Kind-Interaktionen nach einer Trennung auf die Entwicklung des Kindes gibt. (Fabricius et al., 2012). Die wichtigen Komponenten sind hier die Qualität und Quantität der Interaktionen, sowie die Einhaltung des wechselseitigen Wohlverhaltensgebots (kein Schlechtreden des anderen Elternteils) und Akzeptanz der Kontaktregelung. Weiterhin sind sich Humanforschende einig, dass die empirische Befundlage zu den Auswirkungen hoher Konflikte zwischen den Eltern auf den Umgang von Kindern mit ihren Eltern uneinheitlich ist. Das Ausmaß, in dem eine getrennte Erziehung des Kindes mit minimalem Kontakt zwischen den Eltern das Risiko im Vergleich, zu einer konfliktreichen, gemeinsamen Erziehung mindert, ist unklar. Angesichts der Qualität, Tiefe und Breite der Konfliktnatur können dennoch einige Schlussfolgerungen gezogen werden.
Nach Schmidts & Westhoffs Modell (2020) gibt es folgende Wechselbeziehungen und Zusammenhänge zwischen den Einflussfaktoren nach einer Trennung. Die Eltern-Kind-Interaktion mit den Faktoren Qualität der Interaktion, Quantität der Interaktion, Einhaltung des Wohlverhaltensgebots und Akzeptanz der Kontaktregelung beeinflusst sich wechselseitig mit den Bewältigungsprozessen des Kindes (Kognition, Emotion, Motivation, soziales Verhalten, Physis). Die Bewältigungsprozesse wiederum beeinflussen sich wechselseitig mit der Entwicklung des Kindes und resultieren in einer Anpassung oder Fehlanpassung an die Trennungssituation.
Zwei weitere Theoretische Ansätze
Konflikthypothese
Die Konflikthypothese besagt, dass es eine Interaktion gibt, zwischen elterlichen Konflikten und der Zeit, die beide Elternteile mit ihren Kindern verbringen. Das bedeutet, dass eine höhere Quantität zwischen beiden Elternteilen und ihren Kindern dann vorteilhaft ist, wenn der elterliche Konflikt gering ist, und Nachteile birgt, wenn der elterliche Konflikt hoch ist. (Mahrer et al., 2018). Diese Nachteile währen eben, dass ein häufigerer Kontakt zwischen Kindern und beiden Elternteilen häufigere Gelegenheiten schaffe, dass die Kinder Konflikte zwischen ihnen mitbekommen.
Vorteilshypothese
Die Vorteilshypothese sagt aus, dass unabhängig vom Konfliktgrad der Eltern größere Zeitanteile des Kindes mit beiden Eltern zu besseren Anpassungsleistungen führen, aber nur dann, wenn die Qualität der elterlichen Erziehung hoch ist. Die Anpassungsfähigkeit des Kindes an die Trennungssituation hängt also mit der Qualität der verbrachten Erziehungszeit zusammen. Kinder in hoch konfliktbehafteten Familien können nur von gemeinsamer Erziehung beider Elternteile profitieren, wenn die Erziehungsqualität hoch ist. (Lamb, 2012; Sandler et al., 2013; Mahrer et al., 2018)
Instrumentalisierung der Kinder im Partnerkonflikt als schwerwiegende Verletzung der Kindesinteressen
Werden Kinder in den Elternstreit dauerhaft und planmäßig von einem Elternteil mit einbezogen, spricht das gegen die grundsätzliche Sorgeeignung dieses Elternteils. Gelingt es einem Elternteil hingegen, die persönlichen Spannungen im Verhältnis zum anderen Elternteil zurückzudrängen, das Kind von den Elternkonflikten freizuhalten und ihm das Gefühl zu geben, dass es weiterhin zwei um sein Wohl bemühte Elternteile hat, so ist diese kindgerechte Haltung ein wesentlicher Gesichtspunkt zugunsten dieses Elternteils (Staudinger & Coester, 2020).
Ein gravierender Fehler, der die erzieherische Fähigkeit sehr infrage stellt, liegt vor, wenn ein Elternteil das Kind zu einer Ablehnung oder gar hasserfüllten Einstellung gegenüber dem anderen Elternteil beeinflusst (Johannsen et al. 2020). Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2019 festgestellt, dass sich ein Koalitionsdruck nachteilig auf Kinder auswirkt. Sie werden dadurch in Loyalitätskonflikte gebracht. (BGH 27.11.2019, XII ZB 511/18, FamRZ 2020, 252–255)
Das wünschen sich Kinder, wenn Eltern sich trennen — 20 Bitten an geschiedene Eltern
- Vergesst nie: ich bin das Kind von euch beiden. Ich habe jetzt zwar einen Elternteil, bei dem ich hauptsächlich wohne und der die meiste Zeit für mich sorgt. Aber ich brauche den anderen genauso.
- Fragt mich nicht, wen von euch beiden ich lieber mag. Ich habe euch beide gleich lieb. Macht den anderen also nicht schlecht vor mir. Denn das tut mir weh.
- Helft mir, zu dem Elternteil, bei dem ich nicht ständig bin, Kontakt zu halten. Wählt für mich seine Telefonnummer oder schreibt die Adresse auf einen Briefumschlag. Helft mir, zu Weihnachten oder zum Geburtstag ein schönes Geschenk für den anderen zu basteln oder zu kaufen. Macht von den neuen Fotos von mir immer auch einen Abzug für den anderen mit.
- Redet miteinander wie erwachsene Menschen. Aber redet. Und benutzt mich nicht als Boten zwischen euch – besonders nicht für Botschaften, die den anderen traurig oder wütend machen.
- Seid nicht traurig, wenn ich zum anderen gehe. Der, von dem ich weggehe, soll auch nicht denken, dass ich es in den nächsten Tagen schlecht habe. Am liebsten würde ich ja immer bei euch beiden sein. Aber ich kann mich nicht in zwei Stücke reißen – nur weil ihr unsere Familie auseinandergerissen habt.
- Plant nie etwas für die Zeit, die mir mit dem anderen Elternteil gehört. Ein Teil meiner Zeit gehört meiner Mutter und mir, ein Teil meinem Vater und mir. Haltet euch konsequent daran.
- Seid nicht enttäuscht oder böse, wenn ich beim anderen bin und mich bei euch nicht melde. Ich habe jetzt zwei Zuhause. Die muss ich gut auseinanderhalten – sonst kenne ich mich in meinem Leben überhaupt nicht mehr aus.
- Gebt mich nicht wie ein Paket vor der Haustür des anderen ab. Bittet den anderen für einen kurzen Moment rein und redet darüber, wie ihr mein schwieriges Leben einfacher machen könnt. Wenn ich abgeholt oder gebracht werde, gibt es kurze Momente, in denen ich euch beide habe. Zerstört das nicht dadurch, dass ihr euch anödet oder zankt.
- Lasst mich vom Kindergarten oder bei Freunden abholen, wenn ihr den Anblick des anderen nicht ertragen könnt.
- Streitet euch nicht vor mir. Seid wenigstens so höflich miteinander, wie ihr es zu anderen Menschen seid und wie ihr es auch von mir verlangt.
- Erzählt mir nicht von Dingen, die ich noch nicht verstehen kann. Sprecht darüber mit anderen Erwachsenen, aber nicht mit mir.
- Lasst mich meine Freunde zu beiden von euch mitbringen. Ich wünsche mir ja, dass sie meine Mutter und meinen Vater kennen und toll finden.
- Einigt euch fair übers Geld. Ich möchte nicht, dass einer von euch viel Geld hat – und der andere ganz wenig. Es soll euch beiden so gut gehen, dass ich es bei euch beiden gleich gemütlich habe.
- Versucht nicht, mich um die Wette zu verwöhnen. Soviel Schokolade kann ich nämlich gar nicht essen, wie ich euch beide lieb habe.
- Sagt mir offen, wenn ihr mal mit dem Geld nicht klarkommt. Für mich ist Zeit ohnehin viel wichtiger als Geld. Von einem lustigen gemeinsamen Spiel habe ich viel mehr als von einem neuen Spielzeug.
- Macht nicht immer so viel „Action“ mit mir. Es muss nicht immer was Tolles oder Neues sein, wenn ihr etwas mit mir unternehmt. Am schönsten ist es für mich, wenn wir einfach fröhlich sind, spielen und ein bisschen Ruhe haben.
- Lasst möglichst viel in meinem Leben so, wie es vor eurer Trennung war. Das fängt bei meinem Kinderzimmer an und hört auf bei den kleinen Dingen, die ich ganz allein mit meinem Vater oder meiner Mutter gemacht haben.
- Seid lieb zu den anderen Großeltern – auch wenn sie bei eurer Trennung mehr zu ihrem eigenen Kind gehalten haben. Ihr würdet doch auch zu mir halten, wenn es mir schlecht ginge! Ich will nicht auch noch meine Großeltern verlieren.
- Seid fair zu dem Partner, den einer von euch findet oder schon gefunden hat. Mit diesem Menschen muss ich mich ja auch arrangieren. Das kann ich besser, wenn ihr euch nicht gegenseitig eifersüchtig belauert. Es wäre sowieso am besten für mich, wenn ihr beide bald jemanden zum Liebhaben findet. Dann seid ihr nicht mehr so böse aufeinander.
- Seid optimistisch. Eure Ehe habt ihr nicht hingekriegt – aber lasst uns wenigstens die Zeit danach gut hinbekommen. Geht mal meine Bitten an euch durch. Vielleicht redet ihr miteinander darüber. Aber streitet euch nicht. Benutzt meine Bitten nicht dazu, dem anderen vorzuwerfen, wie schlecht er zu mir ist. Wenn ihr das macht, habt ihr nicht kapiert, wie es mir jetzt geht und was ich brauche, um mich wohler zu fühlen.
Angelehnt an Jäckel, 2006
27. August 2022
Autorin:
Sonya Anders, Psychologin
M.Sc. Angewandte Psychologie (Klinische Psychologie)